Franz Praßl: Die Choralhandschriften in der Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstiftes Vorau


Das Augustiner-Chorherrenstift Vorau – in der Oststeiermark ungefähr auf halbem Wege zwischen Wien und Graz gelegen – wurde 1163 aufgrund einer Stiftung des Traungauer Markgrafen Ottokar III. (1129-1164) vom Salzburger Erzbischof Eberhard I. (um 1085-1164) errichtet und dem Salzburger Chorherrenverband eingegliedert. Erster Propst wurde der aus dem Seckauer Chorherrenstift stammende Stiftsdekan Liupold (1163-1185), vier Chorherren kamen aus dem Salzburger Domstift. Bereits unter dem zweiten Propst Bernhard I. (1185-1202), der vorher Kustos und Bibliothekar in Seckau gewesen ist, kam die Bibliothek zu großer Blüte, davon zeugen heute noch zahlreiche erhaltene Handschriften dieser Zeit, darunter nicht wenige Liturgica. Konstitutiv für die liturgische Praxis des im äußersten Osten der Erzdiözese Salzburg nahe der ungarischen Grenze gelegenen Stiftes wurde ein Liber Ordinarius (heute A-VOR 99), der aus Suben kommend, eine redigierte und auf die Bedürfnisse des konkreten Ortes hin bearbeitete Abschrift des Salzburger Liber Ordinarius von 1198 (heute: A-Su M II 6) ist. Dieses Buch diente als Grundlage zur Herstellung zahlreicher Liturgica vor Ort, bis im 15. Jh. eine liturgische Reform den „reinen“ Salzburger Domritus (unter Beibehaltung einiger lokaler Proprien) einführte. Von dieser Reform zeugen heute noch zahlreiche vorhandene Salzburger Missalien und Breviere des 15. Jhs., welche dem Domritus folgen. Mit der Einführung des römischen Ritus in der Erzdiözese Salzburg 1590-1596 wurde auch das Ende der mittelalterlichen Liturgie in Vorau eingeläutet. Das genaue Datum des „Umstiegs“ ist nicht bekannt. Von einigen verbliebenen lokalen Besonderheiten zeugen jedoch einige Choralhandschriften des 18. Jhs., welche als Ergänzung zu den normierten (gedruckten) Büchern geschaffen worden sind.


Die Bibliothek, welche die Zeit des Nationalsozialismus und die unmittelbar darauf folgenden Gräuel der russischen Besatzer relativ glimpflich überstanden hatte, besitzt eine nicht zu kleine Zahl von mittelalterlichen Handschriften. Der in der Steiermark heute noch als engagierter Jugendseelsorger bekannte Chorherr Pius Fank (1891-1976), der neben seinen seelsorgerlichen Tätigkeiten auch noch Zeit fand, als Stiftshistoriker wissenschaftlich zu arbeiten, hat 1936 die 416 Handschriften der Stiftsbibliothek in einem in lateinischer Sprache abgefassten Katalog für damalige Verhältnisse eingehend und gründlich beschrieben, auch in Hinblick auf Notationsfragen, sodass dieser Katalog noch immer einen sinnvollen Erstzugang zu den Quellen vermitteln kann, wenngleich heute andere Ansprüche an Handschriftenbeschreibungen gestellt werden. Im Folgenden werden die notierten und auch die nicht notierten Liturgica anhand des Fank-Kataloges aufgelistet.


Quelle (mit Literaturhinweisen): PRASSL, Franz: Gesang an der Peripherie – Die Choralhandschriften in der Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstiftes Vorau, in: Klugseder, Robert (Hg.), Cantus Planus. Study Group of the International Musicological Society. Papers read at the 16th meeting, Vienna, Austria, 2011, Wien 2012, 332-343.