Die Handschrift Melk, Stiftsbibliothek 109 (olim 1056) ist ein Graduale, das um 1300 im Regensburger Benediktinerkloster St. Emmeram hergestellt wurde. Zu einem unbekannten Zeitpunkt gelangte der Codex nach Melk, wo man ihn teilweise überarbeitete. Über Rasuren fügte neue Einträge bzw. Ergänzungen hinzu, um der durch die Reformen des 15. Jahrhunderts erneuerten Melker Gesangspraxis zu entsprechen. Die Handschrift beinhaltet nicht nur das vollständige Proprium an Messgesängen für das Kirchenjahr, sondern auch Sequenzen sowie das Messordinarium (die Sequenzen wurden in Melk nicht überarbeitet). Die Änderungen bestehen nicht nur aus ausgetauschen Gesängen, sondern auch aus Anpassungen in den Melodien, die in mehr als der Hälfte der Seiten der Handschrift erkennbar sind. Diese italienischen (genauer: römisch-franziskanischen) Anpassungen ersetzen die ältere, Regensburger Fassung. Sie stellen wertvolle Zeugnisse der Art und Weise dar, wie die Melker Reform das Gefüge der Melodien beeinflusste. (Eine vergleichbare Untersuchung, die sich mit den Anpassungen am Offiziumsrepertoire auseinandersetzt, bietet Robert Klugseder: Quellen des gregorianischen Chorals für das Offizium aus dem Kloster St. Ulrich und Afra Augsburg, Regensburger Studien zur Musikgeschichte 5, Tutzing 2008.)


Die Ergbnisse einer gründlichen Untersuchung der Handschrift durch Janka Szendrei (Institut für Musikwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Budapest) und mir wurden in folgendem Artikel veröffentlicht: Ein wenig bekanntes Graduale mit Sequenziar aus St. Emmeram, Regensburg: Handschrift 109 (olim 1056) der Stiftsbibliothek Melk (14.-15. Jhdt.)', Ars Musica - Musica Sacra, hrsg. v. David Hiley, Regensburger Studien zur Musikgeschichte 4 (Tutzing 2007), 99-126.

David Hiley, Universität Regensburg


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A-M 109, fol. 113v. Messoffizium für den Melker Patron Choloman (13.10.). Man passte das Festformular für den Regensburger Märtyrerbischof und Heiligen Emmeram (22.9.) an (Melodie- und Repertoirekorrekturen, Coloman war ebenfalls Märtyrer, aber kein Bischof). Die aufwendig illuminierte Initiale 'L', der Beginn des Introitus 'Laetabitur justus', zeigt Bischof Emmeram mit der Märtyrerpalme und einem Drachen.


Die Abbildungen der Handschrift wurden mit Erlaubnis von P. Dr. Gottfried Glaßner, Bibliothekar von Stift Melk, veröffentlicht. Für Reproduktionen oder eine Veröffentlichung von Abbildungen aus Cod. 109 durch Dritte muss in Stift Melk um Erlaubnis nachgefragt werden.